von St. Petersburg bis nach Murmansk
23./24. Juni Am Ladogasee
Wir verlassen die Metropole St. Petersburg Richtung Norden. Zunächst auf der achtspurigen Ringautobahn, vorbei an riesigen Plattenbausiedlungen, die sich recht bunt und aufgeräumt präsentieren, so gar nicht im muffigen Ostgrau. Die gut ausgebaute Fernstraße Richtung Sortawala am Ladogasee zieht sich lange auf frischem glatten Asphalt dahin, bis plötzlich nur noch zweispurig tiefe Schlaglöcher auftauchen und eine lange Baustelle Offroad-Feeling vermittelt. Immer noch erscheint die Landschaft aufgeräumt, jetzt aber durchsetzt von zahlreichen verlassenen und heruntergekommenen Holzhäusern. Wir erreichen in Sortawala den Ladogasee. Mit Blick auf diesen mit 17 700 km2 größten Süßwassersee Europas finden wir am Piipunpiha-Hotel einen Stellplatz für unsere Gruppe.
Jetzt gibt es Sightseeing der anderen Art: Ein Tragflächenboot bringt uns in atemberaubendem Tempo zur Inselgruppe Walaam. Aber es hilft nicht, die Kreuzfahrer sind immer schon vor uns da! Auf der Hauptinsel befindet sich das orthodoxe Kloster. Wir erleben eine interessante Führung und werden von der Klosterküche vegetarisch mit Fisch und Gemüse verpflegt. Da kann selbst Mc. Donalds nicht mithalten! Oder vielleicht doch?
25. Juni Vom Ladoga- zum Onegasee
Vom größten zum zweitgrößten See Europas sind es gerade mal 270m km. Die lassen sich auf der gut ausgebauten A 121 leicht abspulen. Dennoch, die Straße wird langsam schlechter und die Gegend immer ländlicher und auch ärmlicher. Viele zerfallene Holzhäuser, bewohnt und unbewohnt, säumen die Straße. Wir fahren durch dichte Wälder, unterbrochen von schönen Aussichten auf idyllische Seen. Erst bei Erreichen der karelischen Hauptstadt Petrosawodsk (280 000 Einw.) sieht man wieder Tankstellen, Kaufhäuser und Supermärkte. Wir übernachten auf dem Camping am Hafen und bereiten uns bei einem gemeinsamen Essen auf den morgigen Besuch der Insel Kishi vor.
26. Juni Weltkulturerbe Kishi
Heute erleben wir den kulturellen Höhepunkt Kareliens. Ein Tagesausflug zur Insel Kishi mit dem Tragflügelboot. Im Heimatmuseum zeigt man uns diverse Holzbauten aus dem 17. Jahrhundert. Höhepunkte sind die 22-kuppelige Christi-Verklärungskirche und die 10-kuppelige Maria-Schutzkirche. Diese Bauwerke sollen ohne einen einzigen Metallnagel oder –schraube errichtet sein, nur Holzdübel finden hier Verwendung. Für eine solche Rundkuppel werden 30000 Espenholzschindeln verarbeitet, ein einmaliges Zeugnis der Holzbaukunst. Müde kehren wir in unser Campinglager zurück. Das sollte jetzt die letzte Kirche gewesen sein! Immerhin ist hier das Gold dem Holz gewichen.
27. Juni Stramm gen Norden
Petrosawodsk war bis Murmansk die letzte Großstadt Kareliens. Heute fahren wir 390 km durch unendliche Sümpfe und Fichtenwälder mit wenig Abwechslung. Doch für uns ist es ein großes Erlebnis, eine der größten Gedenkstätten Kareliens zu finden. Wir weichen 20 km von unserer Route ab und finden mitten im Wald einen der grauenvollsten Orte in der Geschichte Kareliens. Hier bei Sandormoch liegen, in Massengräbern unter einer dünnen Sandschicht, etwa 10 000 Opfer des Stalin`schen Massenterrors, GULAG-Häftlinge und politische Gefangene aus Lagern in allen Teilen Kareliens. Sie wurden hier 1938/1939 erschossen und verscharrt. Entdeckt wurden diese Gräber erst nach der Perestrojka 1996. Bis dahin galt das Schicksal der hier ermordeten für die sowjetischen Behörden offiziell als ungeklärt. Auch wenn mein Onkel Erwin Ries sicherlich nicht hier liegt, so gedenken wir dennoch seiner stellvertretend an dieser Stelle. Der Ort, an dem er begraben ist, bleibt für uns unbekannt.
Die wenigen Dörfer, die wir auf dieser langen Route durchfahren, erscheinen ärmlich, man findet viele zerfallene Holzhäuser, die aber immer noch bewohnt sind. Die guten Straßenstücke nehmen ab, es tauchen oft unvermittelt tiefe Schlaglöcher auf, die unsere Wohndose ganz schön durchschütteln. Wir erreichen in Belomorst einen Campingplatz direkt am Weißmeer-Ostsee-Kanal, der in der Stalinzeit von tausenden Zwangsarbeitern errichtet wurde. Wir genießen den schönen Blick über das Wasser und blenden diesen Horror aus. Auch das Wetter spielt mit, wer erlebt schon 25 Grad in diesen Breitengraden bei strahlendem Sonnenschein? Es bestätigt sich wieder einmal: „Jeder bekommt das Wetter, das er verdient hat“. Ein vorzügliches Abendessen mit Räucherfisch und Salaten rundet diesen Tag ab.
28. Juni Belomorsk
In Belomorsk halten wir einen Tag inne. Wir erleben eine Kleinstadt (10000 Einwohner) in der die Zeit scheinbar stehen geblieben ist. Neben sowjetischen „Wandmalereien“ erlebt man Straßen, die diesen Namen kaum verdienen. Löcher, in denen das Auto fast untergeht. Vielerorts wird die Asphaltdecke, die hier extremen Temperaturschwankungen ausgesetzt ist (Sommer bis +30°, Winter bis -40°) gerade erneuert. Selbst Vögele-Maschinen aus unserer Heimat kommen hier zum Einsatz. Plötzlich schlägt das Wetter um, wir haben Regen, den wir aber nicht verdient haben.
In der Nähe von Belomorsk befinden sich 6000 Jahre alte Felszeichnungen, die beweisen, dass sich schon damals Menschen hier in der wohl unwirtlichsten Region Europas niederließen. Ob es damals auch schon so viele Stechmücken wie heute gab, ist nicht überliefert.
29. Juni Über den Polarkreis
Heute überqueren wir den Polarkreis, für jeden ein besonderes Ereignis. Die Fahrt von Belomorsk bis Kandalaksha ist das reinste Abenteuer. 80 km russische Baustellen, da kommt keine Langeweile für den Fahrer auf. Jedes Schlagloch will genau angepeilt und zwischen aber ja nicht unter die Räder genommen werden, das könnte schlimme Folgen haben. Das Regenwetter trägt das Seinige bei. Wir erreichen nach 400 km durch die karelische Tundra alle wohlbehalten den Hafen-Stellplatz in Kandalaksha und genießen ein gemeinsames Abendessen im angeschlossenen Hotel. Gegen Abend kommt dann auch wieder die Sonne heraus.
30. Juni Kandalaksha
Mit Kandalaksha lernen wir eine russische Kleinstadt kennen, die in ihrer Entwicklung deutlich zurückgeblieben ist. Vieles sieht vergammelt und heruntergekommen aus, wahrlich kein Vorzeigeobjekt. Alte Industrieanlagen und der Hafen bestimmen das Bild. Im Yachthafen sind wir neben dem Hotel untergebracht, direkt am Wasser, aber ohne Komfort.
Wir unternehmen einen Busausflug in die nähere Umgebung der Kola-Halbinsel. Der Zustand des Reisebusses ist nicht gerade vertrauenserweckend, in Deutschland wäre die TÜV-Plakette schon längst weggerostet, dafür läuft die Heizung unaufhörlich, da die Motorwärme sonst nicht abgeführt werden könnte. Die Landschaft mit einem kleinen Wasserfall beeindruckt. Der Abend klingt mit gemeinsamem Grillen in fröhlicher Runde aus.
Busausflug ins Umland
Abenteuerliche Fahrt nach Teriberka mit einem Kleinbus aus vergangenen Zeiten.
1. - 3. Juli Strahlendes Murmansk
Denkt man an Murmansk, so fallen einem spontan die strahlenden Überreste abgewrackter Atom-U-Boote ein. Wir erleben diese Stadt bei strahlendem Sonnenschein und 23°C, kaum zu glauben hier im hohen Norden am Eismeer. Auf einem Hotelparkplatz auf einem Hügel hoch über der Stadt lassen wir uns nieder. Wir blicken auf eine Industriestadt mit rauchenden Schloten und Plattenbauten in den Randbezirken. Die letzten 250 km haben wir locker auf der neu asphaltierten R21 heruntergespult, das tat nach den Schlaglochpisten richtig gut. Auch die Landschaft hat uns im hellen Glanz der Sonne begeistert. Birken- und Fichtenwälder wechseln mit Sumpfgebieten, auf denen jetzt das Wollgras sprießt. Nun freuen wir uns auf Murmansk mit 300 000 Einwohnern die russische Metropole des Nordens. 3275 km + Fähre sind wir nun schon unterwegs. Wir haben unser nördlichstes Ziel erreicht, jetzt kann es nur noch südwärts gehen.
Heißes Murmansk
Wir unternehmen eine sommerliche Tour durch Murmansk bei 30°C. Solche Temperaturen erlebt diese Stadt nur selten! Wir erleben sie in einem Bus ohne Klimaanlage aber intakter Heizung. Jeder Zwischenstopp kommt da gelegen. Wir sehen Einheimische, die im kühlen Meer baden. Dazu fehlt uns leider die Zeit. Die Sehenswürdigkeiten der Stadt müssen abgearbeitet werden! Höhepunkt ist der Besuch des Atom-Eisbrechers Lenin, der bis 1989 der größte und stärkste seiner Art war. Zwei Kirchen nehmen wir nur noch so nebenbei mit, deren haben wir schon so viele gesehen. Am Abend findet im Hotel das Abschiedsessen statt. Die Gruppe trennt sich, einige brechen mit uns nach Norwegen auf, andere ziehen weiter mit der Reiseleiterin Dana Richtung Süden zurück ins Baltikum. Die Gruppe wird uns fehlen!
Wir haben Russland kennen- und lieben gelernt und sagen "Do swidanja" bis zum nächsten Mal.
Fortsetzung unserer Reise durch Norwegen in Teil 3